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Abenteuer am Amazonas Es ist eine gute Nachricht, die Mr Murray, Maias Vormund und Vermögensverwalter, dem zehnjährigen Waisenmädchen überbringt - meint Miss Banks, die Schulleiterin. Bereits Ende nächsten Monats, so eröffnet er ihr, solle sie mit einer Gouvernante nach Brasilien gehen. Sie habe dort entfernte Verwandte, die sie gerne aufnehmen wollen. Für Maia, die Heldin des Romans, kommt diese Nachricht ebenso überraschend wie für die Leser, die sich eben mit dem Ambiente eines englischen Mädchen-Internats vertraut gemacht haben. Man schreibt das Jahr 1910, das Amazonasgebiet ist kaum erforscht. Auf Wissenschaftler, Abenteurer und Geschäftsleute üben die großartigen Naturschätze des Urwalds eine geradezu magische Anziehungskraft aus. Zugleich suchen viele, die in der Alten Welt gescheitert waren, am Amazonas ihr Glück. Auf zu neuen Ufern Gleich zu Beginn scheint Maias Abreise von einer bösen Überraschung überschattet - Miss Minton, ihre Gouvernante, wirkt ungeheuer steif und beinahe Furcht einflößend. Nur die schwere Kiste, in der sie jede Menge Bücher transportiert, stimmt Maia ein wenig versöhnlicher. Bald darauf macht sie eine neue Bekanntschaft. An Bord der "Cardinal" lernt sie Clovis King kennen. Der Junge, ein wenig älter als Maia, lebt - ähnlich wie sie - bei einer fremden Familie. Mit den Goodleys schlägt er sich mehr schlecht als recht als Schauspieler durch. Ihr Gastspiel in Manaus, wo Clovis im weltberühmten "Teatro Amazonas" als "Kleiner Lord" auftreten wird, soll die "Pilgrim Players" vor dem finanziellen Desaster retten. Wäre da nicht Clovis´ Stimme, die immer wieder unkontrolliert absackt… Auch ohne Magie ein zauberhaft schönes Buch An Bord träumt Maia von einer glücklichen Zukunft. Doch wie fast immer in guten Romanen, gehen Hoffnungen nur selten ohne längere Verwicklungen in Erfüllung. Die Handlung, die sich bald in mehrere Stränge verzweigt, kommt richtig in Fahrt, als Maia einem dunkelhäutigen Jungen begegnet, der sie zur Vorstellung des "Kleinen Lord" bringt; die Carters wollten sie nicht mitnehmen. Später tauchen zwei tollpatschige Detektive auf, die den Sohn eines verstorbenen englischen Wissenschaftlers suchen. Ihm, so heißt es, winke ein riesiges Erbe. Wer ist der Junge, der Maia so sicher durch den Urwald führte? Kann Clovis auf der Bühne bestehen? Warum haben die unfreundlichen Carters Maia bei sich aufgenommen? Meisterhaft hat Eva Ibbotson die Geschichte des "Kleinen Lord" (1885), mit der Maia-Handlung verwoben und dabei - anders als etwa Isabel Allende in ihrem Amazonas-Jugendroman "Die Stadt der wilden Götter" (2002) - dem aktuellen Fantasy-Trend widerstanden. Der besondere Reiz des Maia-Romans liegt in der spannenden Handlung, die sehr authentisch vom Leben am Amazonas während der Kolonialzeit berichtet. Dabei werden die Menschen mit all ihren Eigenheiten sehr lebendig und mit viel Sinn für Situationskomik dargestellt - allen voran Miss Minton, die sich als blitzgescheite, treue Kameradin entpuppt, die hinterhältigen Carters und ihre fies-dümmlichen Zwillinge, die vornehm-gütigen Familien in Manaus und zuletzt der alte Lord und seine Familie in England. Mutig, tapfer und aufgeschlossen für Neues Nicht nur Maia, Clovis und der geheimnisvolle Junge haben einige Abenteuer zu bestehen, auch Erwachsene wie Miss Minton und der Professor gehen immer wieder Risiken ein und stellen sich den Herausforderungen des Lebens. Ihnen sind die betrügerischen Carters gegenüber gestellt, die an ihrer Geldgier und ihren albernen Skurrilitäten scheitern. Immer bereit sein, Neues zu lernen, sich nicht nur auf bisher Erreichtes verlassen - die Botschaft dieses glänzend geschriebenen und sorgfältig komponierten Romans, ist zeitlos gültig. Birgit Kuhn
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